Alice Sara Ott im Porträt
Ein Schlüsselerlebnis, eine fast schicksalhafte Begebenheit führte dazu, dass wir Alice Sara Ott heute zweifelsfrei zu den erfolgreichsten Pianist:innen unserer Zeit zählen können: Der Ausfall des Babysitters war es, der ihren Eltern keine andere Wahl ließ, als ihre Tochter mit auf ein Konzert zu nehmen. Fasziniert von der Fähigkeit des Pianisten, das Publikum in seinen Bann zu ziehen, war der dreijährigen Alice Sara sofort klar: Das möchte ich auch machen!
Der Weg auf die internationalen Konzertbühnen
Wie viele großartige Pianist:innen bahnte sie sich schon bald ihren Weg auf die internationalen Bühnen, entdeckte viele verschiedene Länder und Orte. Seit ihrem 15. Lebensjahr konzertiert Alice Sara Ott in zahlreichen Konzertsälen Deutschlands, Europas und in Japan.
„Ganz große Erlebnisse waren für mich, dass ich im Herkulessaal in München spielen durfte, im Concertgebouw Amsterdam sowie mit dem Tonhalle-Orchester unter David Zinman. Und 2007 durfte ich in der Suntory Hall, dem bekanntesten und beliebtesten Konzertsaal Japans, spielen. Das war eine ganz große Ehre für mich“
Im Jahr 2008 sprang die damals Zwanzigjährige in Basel kurzfristig für den erkrankten Murray Perahia ein und erzielte damit großen Erfolg. Im selben Jahr unterzeichnete sei einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon. Aufregend war es für Ott, als sie merkte, dass sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen konnte. Doch was zunächst wie ein relativ „normaler“ Werdegang einer klassischen Konzertpianistin anfing, änderte sich bald: In ihren frühen Zwanzigern, am Anfang der sich rasant entwickelnden Karriere, begann Alice Sara Ott ihre Rolle in der klassischen Musikszene zu hinterfragen. Sie stellte fest, dass das Publikum oft aus einer bestimmten Alters- und Gesellschaftsgruppe stammt, und dass viele Konventionen des Konzertbetriebs andere Menschen ausschließen.
„Ich habe Musik nicht entdeckt, um nur eine gewisse Gruppe zu erreichen“, erklärt sie. „Ich möchte mit der Vorstellung aufräumen, klassische Musik sei nur etwas für reiche, gebildete Leute. Sie ist es nicht. Man muss nicht gebildet sein, um Freude an klassischer Musik zu haben. Aber sie trägt zur Bildung bei, wenn man ihr zuhört.“ Klassische Musik sei zeitlos und ebenso berührend wie populäre Musik, der Rahmen, in dem die Musik stattfindet, sei jedoch ein anderer.
Tradition und Innovation
Alice Sara Ott begann schließlich damit, die Traditionen der klassischen Konzertkultur in Frage zu stellen: Warum fühlt sich das Publikum in klassischen Konzerten oft beobachtet oder verkrampft, im Gegensatz zur entspannten Atmosphäre in Jazzclubs? Wie schafft man es, ein breiteres Publikum zu erreichen? Und warum sollte es ein Vergehen sein, zwischen zwei Sätzen zu klatschen, wenn die Musik die Zuhörenden so begeistert? Auch ihr selbst sei es schon passiert, dass sie zwischen Sätzen ihre Begeisterung mit Applaus ausdrückte. Sie ist der Überzeugung: Wenn die Künstler:innen nicht wollen, dass zwischen den Sätzen applaudiert wird, haben sie die Möglichkeit, dem Publikum dies eindeutig zu signalisieren.
„Ich habe das zum Beispiel einmal mit dem dritten Klavierkonzert von Beethoven erlebt. Da wollte ich den ersten Satz mit dem zweiten Satz verbinden. Und deswegen habe ich das Orchester und auch den Dirigenten damals gebeten, dass wir alle verharren in dem Moment, und das versteht das Publikum genauso. Und so kann man diese unglaubliche Spannung zwischen dem ersten und zweiten Satz auf eine natürliche Weise dem Publikum nahebringen, ohne dass irgendjemand das Gefühl hat, er sei nicht intelligent genug, das zu verstehen“
Mittlerweile hat Alice Sara Ott ihren Platz im klassischen Konzertwesen gefunden: Sie verbindet Tradition und Innovation, ist unkonventionell und experimentierfreudig und schafft es so, die klassische Musik an ein breiteres Publikum heranzutragen. Im interdisziplinären Austausch mit Künstler:innen, Architekt:innen oder Designer:innen schafft sie immer wieder multimediale Erlebnisse: Auf einer Tournee im Jahr 2021 arbeitete sie beispielsweise mit dem Architekten Hakan Demirel zusammen, dessen digitale Videoinstallation ihren Interpretationen eine visuelle Erzählung unterlegte.
Unkonventionell zeigt sich die Pianistin auch anderweitig: Oft ist sie barfuß am Klavier zu erleben. Als sie an einem historischen Klavier spielte, das viel kleiner ist als ein moderner Konzertflügel, stieß sie wegen ihrer Absätze immer wieder mit den Knien an das Instrument. Eher zufällig entdeckte sie also, dass sich das Barfußspielen befreiend und natürlicher anfühlt. Ob sie auch bei ihrem Konzert in Bremen wieder ohne Schuhe die Bühne betritt? Schauen Sie doch selbst!
Am 9. Februar 2025 spielt Alice Sara Ott Beethoven Sonaten und eine Auswahl an Stücken ihres neusten Albums John Field · Complete Nocturnes.
Werke von Field und Beethoven